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Ganz ungewollt macht der Mensch bisweilen ja persönliche Feldversuche. An einem schönen Spätsommertag in meinem Wohnort Bonn hat es also auch mich getroffen. Ich war mit einem guten Freund zum Abendessen in der Südstadt verabredet. Fahrstrecke von meinem Haus bis zum von uns gewählten Italiener: knapp 10 km. Ich steige in mein Auto, fahre los – und stehe schon 5 Minuten später im Stau. Baustelle. Stop and Go geht es nun für rund 5 km voran, die Zeit verrinnt. Endlich geht es schneller weiter und ich komme irgendwann an mein Ziel – genau zu dem Zeitpunkt, an dem ich mich verabredet hatte. Aber „am Ziel“ heißt noch lange nicht „da“: kein Parkplatz weit und breit. Ich fahre einige Straßen ab. Entweder Anwohnerparken oder Baustelle oder alles voll.
Das nächstgelegene Parkhaus? Für nicht absehbare Zeit wegen Renovierungsarbeiten gesperrt. Also gurke ich weiter durch die Gegend, bis irgendwann jemand wegfährt und ich mich in die sehr enge Parklücke zwänge. Von da sind es „nur“ 10 Minuten Fußweg bis zum Ristorante. Ich bin damit lediglich knapp eine halbe Stunde zu spät und alles andere als entspannt. Insgesamt hat die 10-Kilometer-Reise an diesem Tag etwas über eine Stunde gebraucht. Und so ist es eigentlich so gut wie immer, wenn man in die Innenstadt will. Im Nachhinein habe ich mich gefragt was mich eigentlich geritten hat, mit dem Auto loszufahren. Ich hätte es doch wissen müssen.
Zwei Tage später: Ich muss ins Bonner Stadthaus. Fahrstrecke: ca. 9 km. Jetzt nehme ich mein Fahrrad, rolle recht entspannt hinab in die Stadt, fahre an manchen kleinen Staus vorbei, nehme die eine oder andere Abkürzung und bin in rund 25 Minuten am Ziel. Natürlich muss man gerade in der Innenstadt höllisch aufpassen, denn LKW- und Transporterfahrer machen Radlern das Leben ebenso schwer wie die generell immer breiter werdenden KFZ. Aber im Großen und Ganzen läuft es geschmeidig. Ich bin also mit viel besserer Laune und überpünktlich am Ziel.
Diese Situationen kennt jeder. Und sie sind meines Erachtens ein Indikator dafür, dass das Auto in den Innenstädten zum Auslauf- und das Rad zum Zukunftsmodell wird.
Wie erst wäre es, wenn es in Deutschland auch die passende Infrastruktur gäbe? Fahrradwege, die auch wirklich welche sind und nicht nur ein paar Zentimeter an die Hauptstraße geklatschte, durch aufgemalte Striche gekennzeichnete Überlebenszonen? Vielleicht sogar Fahrradautobahnen mit freier Fahrt – ohne zahlreiche Ampeln? Möglichkeiten, Räder bequem und sicher abzustellen und anzuschließen (die meisten Fahrradständer scheinen aus dem letzten Jahrhundert zu stammen)?
Ich bin der Meinung: Es wäre ein Traum. Und sicher auch die Lösung so manchen Innenstadtproblems: mehr Platz, Ruhe, bessere Luft, (wahrscheinlich) entspanntere Menschen und eine lebenswertere Umwelt. Ganz ehrlich: Von allen Möglichkeiten, Innenstädte verkehrstechnisch zu entzerren, scheint mir das Rad die am einfachsten zu realisierende, gesündeste und kostengünstigste Variante zu sein. Alles was es braucht, ist Mut und Konsequenz bei der Realisierung.
Wäre es der „Tod des Einzelhandels“, wenn Autos nicht mehr bis möglichst direkt vor das Geschäfts fahren können, wie man es so oft hört und liest? Sicher nicht, wenn es einladende Angebote gibt! Dazu möchte ich die folgenden Beispiele anführen:
Einem Artikel der „Arbeitsgemeinschaft Fahrradfreundliche Kommunen in Bayern“ zufolge zeigen Studien zum Einkaufsverhalten in Innenstädten, dass nur knapp ein Drittel der Passanten gezielt einkauft. Zitat: „Die Mehrheit agiert […] spontan und nutzt die Möglichkeiten, die sich ihr bieten. Je mehr Geschäfte passiert werden, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit eines Impulskaufs. Auf Grund geringer Geschwindigkeiten und der unmittelbaren Sinneserfahrung gilt dies besonders für Fußgänger und auch Radfahrer, wenn ihnen einladende Infrastruktur bereitgestellt wird.“ Radfahrer bieten im Jahresdurchschnitt die höchste Kundenrentabilität und bringen dem Einzelhandel 7.500 € pro m² bereitgestelltem Parkraum, Autofahrer nur 6.625 €. (Quelle: https://agfk-bayern.de/dateienupload/dokumente/Publikationen_AGFK/AGFK-WirtschaftsRad.pdf)
Ein österreichisches Rechenmodell (2016), das Verkehrsmittelwahl und Einkaufen ins Verhältnis setzt, zeigt: Erhöht sich der Radverkehrsanteil um 1 %, wirkt sich das mit einem zusätzlichen Umsatzpotenzial von 0,2 Prozent auf den Einzelhandel aus. Auf Deutschland übertragen würde eine Verdopplung des Radverkehrsanteils auf 25 % ein Umsatzplus von 8,7 Milliarden Euro für den Einzelhandel bedeuten. (Quelle: https://www.fahrradland-bw.de/news/news-detail/radfahrer-gut-fuer-einzelhandel/vom/4/4/2016/)
Und auch das Beispiel Manhattan zeigt, wie zukunftsgerichtet sich das Thema Fahrrad in der Innenstadt für den Einzelhandel darstellen kann: Laut eines Artikels der Wirtschaftswoche hat ein Projekt in New York bereits 2014 gezeigt, dass durch gute und geschützte Radwege nicht nur der Verkehrsfluss deutlich optimiert wurde, sondern auch die Einzelhändler profitierten und steigende Umsätze angaben. In der Projekt-Gegend auf der 9th Avenue konnten die Läden ihre Umsätze um 47 % steigern, auf der Columbus Avenue um 20 %. (https://agfk-bayern.de/dateienupload/dokumente/Publikationen_AGFK/AGFK-WirtschaftsRad.pdf)
Fazit: Leute, nutzt das Rad so oft wie es geht!
Liebe Kommunen: Tut alles, um diesen Trend zu unterstützen! Richtet Fahrradwege ein, sorgt für sichere Radparkplätze und setzt auf die Chancen, die durch den zunehmenden Radverkehr entstehen.
Und liebe Händler: Wacht auf! Das Rad kann Euer Rettungsanker der Zukunft werden und Innenstädte wieder nach vorn bringen.
„Überlebenszonen“ ist ein gutes Wort für die Fahrrad-Schutzstreifen. Nach meiner Erfahrung ist es wenig Schutz und zum Überleben braucht es die Achtsamkeit des Radfahrers. Dazu interessant ist das Ergebnis einer Bachelorarbeit an der Uni Braunschweig. https://magazin.tu-braunschweig.de/m-post/radfahrende-sicher-ueberholen/