Ich spreche, also bin ich: Was hat Sprache mit Verkehrswende zu tun?

Eins meiner aktuellen Lieblingsthemen sind die Diskussionen der Nichtautofahrer über Unfallberichte. Im Stil von: „Radfahrer fährt gegen sich öffnende Tür“, „Kind läuft auf Zebrastreifen gegen ein Auto“, „Autofahrerin hat bei tiefstehender Sonne Radfahrer übersehen, konnte nicht mehr bremsen“…: Typische Satzfetzen, die gemeinsam haben, dass ein Nichtautofahrer verletzt ist, und ein Autofahrer laut Formulierung nicht wirklich Schuld – zumindest in der Erstwahrnehmung und im Unfallbericht, der dann auch häufig ungefiltert in den Medien erscheint. In der Folge, so der aktuelle Diskurs, wird in der gesellschaftlichen Wahrnehmung die Schuld an Verkehrsunfällen unberechtigterweise von den Autofahrern hin zu den anderen Verkehrsteilnehmern verschoben.

Es geht auch um die Flächenverteilung

Ein Autor, der sich viel mit Sprache zum Verkehrsgeschehen beschäftigt, ist Dirk von Schneidemesser. Er das Problem im April bei einem anderen Thema im Zusammenhang mit der Mobilitätswende wieder aufgegriffen.

Was ist z. B. für Dich die Bedeutung des Begriffes „gesperrte Straße“? Was spielt sich in Deinem Kopf ab, wenn Du Dir eine solche vorstellst? Siehst Du Autos? Wahrscheinlich eher nicht, und so wird dieser Begriff wohl von den meisten Menschen in Deutschland verstanden.

Und sonst? Wenn die Straße in Deinem Kopf leer ist, könntest Du anfangen, sie zu möblieren: links und rechts Gehweg, Straßencafés, In der Mitte Raum für alles was sich bewegt außer dem MIV (motorisierter Individualverkehr). Auf einmal ist die Straße in keiner Weise gesperrt: sie ist voller Leben, auch wenn die Medien zu diesem Bild immer noch möglicherweise schreiben: „Ab heute ist die Friedrichstraße gesperrt“ (nur um ein markantes Beispiel zu nennen und den genannten Artikel zu zitieren). Diese Ausdrucksweise ist aber nicht auf Berlin beschränkt – zwei der Bilder zum Artikel zeigen eine französische resp. eine schweizer Stadt, in unseren Nachbarländern ist man oft sehr weit mit der Rückgabe des Raums an die Menschen.

Quelle: BMVI

 

Ein anderes Beispiel hier aus Bonn: Die lokale Zeitung hat zuletzt, als sie über die Begrenzung von Parkraum für Autos geschrieben hat, von einem drohenden Kampf um die Flächenverteilung gesprochen. Tatsache ist aber doch: Wir sind zwar nicht sonderlich militant, trotzdem wünschen sich Nichtautofahrer endlich eine – auf Basis der Nutzerzahlen – faire Verteilung des öffentlichen Raums und den Respekt vor den ihnen zugeordneten Flächen seitens der Autofahrer.

Die Sprachwissenschaft zum Thema

Bei der weiteren Recherche bin ich beim Artikel einer Linguistin, Lea Boroditsky, in Spektrum gelandet.

Sie beschreibt, wie Grammatik und sprachlich bedingte Vorstellungen unsere Wahrnehmung und unser Weltverständnis beeinflussen. Wenn sich, wie etwa bei Japanern und Spaniern, die Sprachkultur sträubt, Schuldige zu benennen, führt es dazu, dass sich Zeugen tatsächlich schlechter an einen genauen Unfallhergang erinnern als Benutzer von Sprachen, die direkter funktionieren. (Im Artikel wird ein netter Euphemismus zitiert: Man sagt auf spanisch, wenn jemand eine Vase runtergeschmissen hat, übersetzt: „Die Vase zerbrach sich.“). Und ganz eindrucksvoll wird belegt, dass Menschen, die zweisprachig sind, in jeder Sprache unterschiedliche Vorurteile kultivieren.

Fazit

Also: Lasst uns sensibler mit Sprache über Verkehr umgehen. Dirk von Schneidemesser schlägt vor, bestimmte Begriffe aus der Verkehrsberichterstattung zu ersetzen: Wenn bei einem Unfall jemand zusammenstößt, handelt es sich um eine „Kollision“. Das nimmt dem Prozess das zufällige, unschuldige, und lässt die Verantwortung offen.

 

Und, mir viel wichtiger: Eine Straße, die umgestaltet wird, nachdem sie den Autos als Standardweg und Parkraum genommen wurde, ist nicht gesperrt. Sie wird für Menschen geöffnet!

„Mach langsam, dann hast Du mehr vom Pass!“

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