Radfahren in Paris

Radfahrer auf der Rue de Rivoli, Paris

Wir hatten schon lange geplant, Paris aus der Perspektive von Radfahrenden zu erkunden. Die vielen Meldungen über reduzierten Autoverkehr, Fahrradstraßen und die 15-Minuten-Stadt hatten uns gereizt. Corona hat unsere Reise verzögert. Jetzt endlich haben wir sie umgesetzt und es hat sich gelohnt.

 

Verleihfahrräder in Paris

Es war tatsächlich unser erster Besuch in Paris, bei dem wir nicht eine Strecke mit der Metro gefahren sind. Stattdessen haben wir das Fahrradleihsystem Vélib‘ genutzt. Mit 1.400 Verleihstationen und über 20.000 Fahrrädern ist es das größte Fahrrad-Verleihsystem in der Metropole. Man muss gefühlt meistens nur bis zur nächsten Ecke gehen, um zu einer Vélib‘-Station zu kommen. Die Nutzung kostet 5,- EUR ohne Motor und 10,- EUR für E-Bikes am Tag. Hinzu kommen einzelne Euros für längere Fahrten. Gebucht wird über eine App, die auch anzeigt, wo die nächste Station ist und wie viele Bikes aktuell angedockt sind. Die Fahrräder sind sehr basic. Viele haben auch einen Defekt, so dass wir mehrfach nur bis zur nächsten Station fuhren, um dort das Leihrad wieder zu wechseln. Den Vortrieb der E-Bikes fanden wir außer beim Anfahren relativ lahm. Daher nutzten wir vorwiegend die normalen Fahrräder. Außer an einzelnen Stationen haben wir immer ausreichend bereitstehende Räder gefunden.

Fahrradverleih Velib in Paris

Neben Vélib‘ bieten auch die Scooter-Verleiher Tier, Dott und Pony Fahrräder in einem „free-floating“ System in Paris an. Sie haben keine Docking-Stationen sondern können an (fast) beliebigen Plätzen abgestellt werden. Daneben sieht man weitere Verleihsysteme wie Veligo oder Swapfiets für Menschen, die länger in der Stadt wohnen. Veligo wird von Stadt und Region gefördert und soll zum größten Dauerverleihsystem der Welt werden. So will man das einfache Pendeln mit dem Fahrrad ermöglichen. Immer wieder begegneten uns Fahrradgruppen verschiedener Veranstalter mit eigenen Leihrädern, die geführte Radtouren durch die Stadt anbieten. Auch das scheint sehr beliebt zu sein.

Radweg am Seineufer

Radwege in Paris

Die Pariser Bürgermeisterin Anne Hildalgo ist bekannt für ihre konsequente Förderung des Radverkehrs. Leuchtturmprojekte dabei sind die autofreien Seineufer. Von der Pont d’Austerlitz im Osten bis fast zur Porte de Saint Cloude im Westen zieht sich die Strecke in unterschiedlichen Qualitäten beidseitig entlang des Ufers und durch die ehemaligen Autotunnel. Hier tummeln sich Zu-Fuß-Gehende und Radfahrer, es gibt Restaurants und Bars und ein vielfarbiges urbanes Leben – leider oftmals auf noch viel zu viel Asphalt. Es ist tagsüber wie nachts eine schöne Stimmung und unbedingt einen Besuch wert. Das andere herausragende Projekt ist die Radroute auf der Rue de Rivoli. Von der Place de la Concord geht es entlang der Tuilerien, am Louvre und Hotel de Ville vorbei, bis zur Place de la Bastille. Diese Strecke ist schon sehr besonders. Die sehr breiten Radwege sind perfekt zu befahren, während sich Busse und Taxis eine Spur am Rand teilen müssen. Private Autos sieht man hier wenig.

Seine-Ufer in Paris bei Nacht

Weniger überzeugend fanden wir die Nord-Süd-Route von der Rue de Rivoli über den Boulevard de Sébastopol zur Gare du Nord und weiter bis zur Porte de la Chapelle. Der Zweirichtungsradweg ist hier oftmals kaum 2 m breit, der Begegnungsverkehr entsprechend knapp und die vielen Fußgängerüberwege und Ampeln (die oftmals nicht beachtet werden) sind zusätzliche Hindernisse. Diesen Typ Radweg, der durch einen Bordstein von den Autospuren abgetrennt ist, findet man in der Zwischenzeit sehr häufig in Paris. Er schützt vor dem Autoverkehr, ist teilweise ausreichend breit, aber immer wieder auch sehr schmal und damit bei der intensiven Nutzung durchaus gefährlich.

Die Umweltspuren (ÖPNV und Fahrrad) in Paris haben wir allesamt als sehr großzügig kennengelernt. Oftmals kann der Bus die Radfahrer auf der Spur sogar überholen.

Je nach Veröffentlichung liest man von mehr als 1.000 km Radwegen und -spuren in Paris. Und die Ausbaupläne sind noch ambitioniert. Am Ende soll man mit dem Rad jeden Punkt in der Stadt gut erreichen können.

 

Die autofreie Stadt Paris

Am 18.September 2022 gibt es den nächsten autofreien Tag in Paris. Dann steht die komplette Innenstadt nur  Menschen, die auf Fahrrädern, Rollern oder zu Fuß unterwegs sind, zur Verfügung. Es gehört mit zum Konzept der Verkehrswende, die geänderte Mobilität und Stadtviertel ohne die Last des Autoverkehrs erlebbar zu machen. Das Programm dazu heißt: „Paris Respire“ (Paris atmet auf). An Sonn- und Feiertagen werden verschiedene Strecken und Viertel für den Autoverkehr komplett abgesperrt. Aufgefallen ist es uns auf dem oberen Bereich der Avenue de Champes Élysées. Aber z.B. auch der Canal Saint-Martin, die Place des Abbesses, die Rue de la Roquette, der Quai de la Loire oder Butte-aux-Caille sind dann für Autos gesperrt.

 

Radfahren auf der Rue de Rivoli

Die Radfahrer:innen von Paris

Bestimmten Radfahrergruppen in deutschen Großstädten wird nachgesagt, dass sie anarchistisch und rücksichtslos unterwegs sind. „Kampfradler“ ist in dem Zusammenhang eine gern genutzte Zuschreibung. Das ist eine Interpretation aus der Sicht des deutschen Straßenverkehrs, der von Regeln geprägt ist und wo man die eigenen Rechte (Vorfahrt) genau kennt. Die Regelbrüche der anderen empfindet man abwechselnd als Gefährdung oder Zumutung, und sie lassen nicht selten die Emotionen hochkochen. Den Verkehr in einer französischen Großstadt nehme ich anders wahr. Hier geht es weniger um Schilder, Ampeln, Fahrspuren und Regeln. Vielmehr versucht man, sich auftuende Lücken zu nutzen, schiebt sich in den mehr oder weniger fließenden Verkehr und schwimmt mit, soweit es geht. Genauso fahren die Radfahrer. Es sind viele. Sie kommen von überall. Sie fahren schnell. Sie drängeln sich durch. Sie ignorieren Überwege und halten keine Rotphase einer Ampel wartend durch. Aber es funktioniert. Ich bin kein ängstlicher Radfahrer, in Paris jedoch habe ich einige Male die Luft angehalten. Es ist immer gutgegangen.

enge Radwege in Paris

Meine Tipps für das Radfahren in Paris: 1. Lass dich nicht erschrecken, sondern akzeptiere, was um dich herum passiert. 2. Bestehe nie auf deiner Vorfahrt, aber nimm die Vorfahrt der anderen auch nicht so genau. Wenn es geht, schwimme im Strom. 3. Sei aufmerksam und lass deinen Radar ständig an. Der Verkehr kommt von überall und du musst jederzeit bereit sein, zu bremsen.

Der Fahrrad- und Scooterverkehr, gerade auf den engen Trassen, in Paris, ist wild. Aber ich habe den Eindruck, man achtet anders aufeinander. Man fährt gemeinsam, nutzt die Chancen, die sich bieten aber hat kein Bedürfnis, den anderen in seine Schranken zu verweisen, wie man das in Deutschland oft erlebt.

Radfahrer an der Ampel in Paris

 

Die Fahrräder in Paris

In Paris gibt es alles: Vom Hollandrad bis zur Tour de France-tauglichen Rennmaschine (natürlich!), vom Klapprad bis zum Kinder-Lastenrad, vom Monowheel bis zum Cargo-Bike mit Anhänger, vom Verleihrad bis zum hochgezüchteten E-Bike. Essenslieferanten, Kurierdienste und Paketlogistiker fahren in der Innenstadt Rad. Dazu Geschäftsleute in Anzügen, Außerirdische mit Lederkombi und Vollvisierhelm, Menschen, die vom Einkauf kommen, und Schüler auf dem Weg zur Schule. Für diese Vielfalt die passende Infrastruktur zu schaffen, ist ein Teil des Erfolgsrezeptes, denn ein Erfolg mit vielen Vorteilen für die Stadt ist der Mobilitätswandel auf jeden Fall. Der andere Teil ist die konsequente Förderung der Anschaffung von Fahrrädern durch die Stadt Paris. In verschiedenen Programmen gibt die Stadt Zuschüsse beim Kauf eines Fahrrads. Für ein E-Bike bekommt man 500,- bis 600,- EUR Zuschuss. Damit reduziert sich die Preishürde gewaltig. Firmen stellen oft der kompletten Belegschaft Fahrräder zur Verfügung.

Diversität der Radfahrenden in Paris

Die Fahrradgeschäfte in Paris

Und so boomt der Fahrradmarkt in der Stadt. Wir haben verschiedene Fahrradläden besucht. Insbesondere gibt es einige, die sich mit ihren gut aufgemachten Läden auf das städtische Radfahren spezialisiert haben. VanMoof ist schon seit fast 10 Jahren vor Ort und sehr erfolgreich. Überrascht hat mich auch eine Marke wie Solex, die Mitte des letzten Jahrhunderts das Fahrrad mit dem Klappmotor erfunden hat. Der Benzinmotor über dem Vorderrad wurde mit einem Hebel auf den Vorderreifen eines gewöhnlichen Fahrrads gesenkt und übertrug seine Kraft über Reibung auf den Reifen. Heute werden E-Bikes unter dem Namen Solex verkauft und haben einen Bafang- oder Boschmotor. In ihrem Design lassen sie aber den Markenursprung deutlich erkennen.

Solex Bike Shop Paris

Heute gibt es auch viele Start-ups in der Stadt, die neue Räder und Dienstleitungen etablieren wollen. In der Nähe der Gare de L’Est trafen wir auf GAYA. In ihrem großzügigen Shop stellen die Entwickler bezahlbare Kompakträder mit komfortabel breiten Rädern vor. Bezahlbar auch wegend des städtischen Anschaffungszuschusses. Die ersten Serienräder werden in Kürze ausgeliefert. So ist die Fahrradförderung gleichzeitig auch Wirtschaftsförderung in verschiedenen Bereichen.

Gaya Kompakträder, Paris

Unser Fazit zum Radfahren in Paris

Kurzum: Man muss es gesehen haben. Während man sich in Deutschland in der Umsetzung von konsequenter Radverkehrsförderung schwer tut, zeigt das Beispiel Paris, was geht, wenn der entsprechende Wille, ein langfristiger Plan und Durchhaltevermögen zusammenkommen. Man sollte es aber nicht nur beobachten, sondern sich auch darauf einlassen und einsteigen. Wir haben in diesen Tagen Ecken von Paris kennen gelernt, die wir vorher noch nie gesehen hatten. Das Fahrrad ist und bleibt das beste Verkehrsmittel, um eine fremde Stadt zu entdecken, zu erkunden und zu erfahren. Nur: Wer Paris mit dem Fahrrad erleben will, sollte eine gewisse Routine im Radfahren haben. Unser Segelfluglehrer sagte früher zu windigem und unberechenbaren Wetter, das sei nichts für Mickey Mäuse. Paris ist nichts für Mickey Mäuse auf dem Rad.

Radweg an der Seine

„Für mich ist Radfahren die selbstverständlichste Fortbewegungsart.“

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