Stell Dir vor, Du hattest einen Unfall und darfst anschließend Dein rechtes (wahlweise das linke) Bein nur noch sehr kontrolliert belasten. Das wirkt erstmal als Aus für die Alltagsmobilität, wenn Du Radfahrer bist (oder für die Freizeitbeweglichkeit, wenn Du nur zum Spaß Rad fährst). Wie wäre es dann, sich im Fahrradladen des Vertrauens ein Trike zu leihen und damit die Zeit bis zur Genesung zu überbrücken. Meine Vorstellung: wenn man, auch beim akuten Anhalten, nicht zur Seite kippt, kann man immer kontrolliert ab- (und aufsteigen), dann spricht auch in Phasen mit Handicap nichts gegen das Weiterfahren. Gut für die Psyche und für die Kondition.
In diesem Artikel protokolliere ich einen Realitätscheck für meine Schwägerin. Ich habe mich erst mal selber testweise auf die Räder gesetzt, um sie für diese Idee zu begeistern.
Der erste Versuch: Pfau-Tec und Vanraam
Beide Marken sind stark auf dem Sektor der Fahrräder für Menschen mit Handicap. Niedriger Durchstieg, guter Halt im Sattel, Ausstattungsmöglichkeiten für alle Eventualitäten sind gesetzt. Das Design war für mich aber desillusionierend. Ich dachte, da bricht die Schwägerin den Test schon beim Sehen ab.
Ich habe mich trotzdem draufgesetzt. Und mich behindert gefühlt. Die Kurvenlage war fern vom Fahrrad-Freiheitsgefühl und je nach Fahrradgeometrie (geht der Tritt eher nach vorne oder nach unten) habe ich mich ans Kinderdreirad oder das Kett-Car erinnert.
Die Räder beider Marken funktionieren. Aber das Fortbewegen damit ist für mich kein Radfahren. Und ihr Design bekommt von mir keine so gute Note.
Der zweite Versuch: Babboe Curve e
Schon schick. Das dreirädrige Lastenrad ist aktuell Kult. Es gehört optisch zur neuen urbanen Mobilität und bekommt sicher neidische Blicke am Supermarkt oder Picknickplatz.
Man sitzt dort genauso sicher drauf wie auf den Fahrrädern, die eher aus dem klassischeren Dreiradbereich kommen. Für mich war das Fahrgefühl jedoch schon deutlich besser (vielleicht: weil das Auge fährt mitfährt…) – bis ich um eine Kurve fahren musste. Da die Verbindung zwischen Lenker und Vorderrädern anders als beim klassischen Rad funktioniert, muss man beide Arme weit zur Seite drehen. Sehr ungewohnt. Und der Wendekreis ist eines Autos würdig. Also: Als Lastenrad käme das Babboe für mich in Betracht, aber für den Ernstfall musste noch etwas anderes her.
Zum Dritten! Ein Liegerad von Hase
Mit „Jugend forscht“ fing 1989 alles an: Die ersten kommerziellen Ergebnisse waren dann ein vollgefedertes Liegedreirad und ein Stufentandem. Die Anpassungen für den Rehabereich kamen erst danach. Und man muss sagen: optisch scheint die Reihenfolge ein Gewinn zu sein.
Heute baut die Firma Hase unterschiedliche Dreiradmodelle für alle möglichen Lebenslagen. Dabei ist das Design so durchdacht, dass die Räder sogar faltbar sind (was den Transport vereinfacht, erleichtert wäre hier das falsche Wort). Bei der Recherche finde ich wenig, was ich nicht klasse finde. Vielleicht nur: Die Fahrräder sind zwar sicher preiswert, was aber nicht bedeutet, dass sie ein Schnäppchen wären. Das Fahrrad, was wir am Ende testen werden, kostet knapp 10.000 Euro.
Im Fahrradladen meines Vertrauens, bei Velocity in Bonn, ist das Hase Lepus in der motorisierten Version vorrätig, und Harald Irion dort sagt mir zu, dass wir es testen können. (Man kann es sich aber sogar übers Wochenende buchen). Ich fahre eine Proberunde und sage anschließend meinem Mann: Wenn ich je ein E-Bike für mich kaufe, dann dieses! Das Rad fährt sich super, die Kurvenlage macht Spaß. Außerdem ist das Teil extrem wendig, der gefederte Sattel purer Luxus. Man sitzt höher als bei vielen anderen Liegerädern (gut für das Sicherheitsgefühl im Verkehr). Kurzum: Ich bin begeistert. Ohne E-Unterstützung fährt sich das Rad eben wie ein Liegerad und mit voller Power kann man ohne Anstrengung die Bergziege machen. Man hat die Wahl zwischen einer Schaltautomatik und der Möglichkeit, die Gänge selber zu schalten. Diese war für mich einmal relevant, als ich die faule Bergauf-Variante ausprobieren und das Rad dann immer wieder in den zweiten Gang hochschalten wollte. Ansonsten kann man sich auf die Automatik verlassen.
Für den versuch mit meiner Schwägerin entscheide ich mich für dieses Rad – mir scheint, der einzige Knackpunkt ist der Untenlenker mit den seitlich gelagerten Griffen (der für mich aber viel komfortabler ist als die übersetzte Lenkung des Babboe). Ich bin gespannt auf Ihre Reaktion.
High Noon: Der Test
Erst einmal treffen wir uns alle (die Schreiberin, die Schwägerin samt ihrem technikbegeisterten Mann) bei Velocity, damit das Fahrrad an das „Testimonial“ korrekt angepasst wird. Vielen Dank an die Truppe, Ihr habt uns alle Fragen beantwortet und viel Geduld mit uns gehabt.
Schon beim Einstellen des Rads zeigt sich, dass Auf- und Absteigen gut funktionieren. Man kann sich auf die gezogene Feststellbremse verlassen, sich dann erst auf den Sattel setzen (dabei ist der Lenker eine gute Stütze) und anschließend die richtige Sitzposition einnehmen.
Danach gehen wir an eine Straße ohne Autoverkehr, um alle drei dort Probefahrten zu machen. Es stellt sich heraus, dass die von mir gefürchtete Lenkung für keinen ein Problem ist, sie ist genauso intuitiv wie jeder normale Fahrradlenker. Wir haben alle Spaß mit dem Rad, sogar mein Bruder („wenn ich nur die Knie nicht so unters Kinn ziehen müsste – leider hatten wir uns nicht das Werkzeug mitgenommen, um es auch für ihn probeweise auf die richtige Länge zu bringen). Unser einhelliges Urteil: cool!
Ich hatte mein eigenes Fahrrad zum „Testplatz“ gebracht und war anschließend 20 Minuten gelaufen, damit ich das Fahrrad durch den Straßenverkehr bringen kann. Der Weg zurück zum Geschäft wird einfach: Die Schwägerin bringt es selber hin, ich glaube, das hätte sie sich vorher nicht zugetraut.
Mal sehen, ob sie einen neuen Hausgenossen bekommt!
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