Die Critical Mass: „Wir sind der Verkehr“

Critical Mass hinter der Kennedybrücke

Standst du an einem Freitagabend schon mal an einer Kreuzung in der Innenstadt und kamst nicht weiter, weil eine gigantische Horde von Fahrradfahrern vorbeizog und den Verkehr für 10 oder sogar 20 Minuten völlig lahmlegte? Wenn ja, dann bist du ihr schon begegnet – der Critical Mass.

Die Critical Mass ist eine internationale Bewegung von Fahrradfahrern. Sie entstand 1992 in San Francisco, hat sich seitdem weltweit verbreitet und ist mittlerweile in fast jeder größeren deutschen Stadt zu finden. Mit Protestfahrten durch Innenstädte machen Radfahrer mit ihrer große Masse und ihrem konzentrierten Auftreten auf ihre Rechte im Straßenverkehr aufmerksam.

„Wir blockieren nicht den Verkehr. Wir sind der Verkehr!“

Was die Critical Mass bewirken will, ist ganz einfach: Sie will auf das Fahrrad als umweltfreundliches Verkehrsmittel aufmerksam machen. Und fordert mehr Aufmerksamkeit für Radfahrer auf den deutschen Straßen: mehr Platz im Straßenverkehr, mehr sichere Fahrradwege und mehr Verständnis und Respekt seitens der Autofahrer. Sie ist aber zugleich auch ein fröhliches und friedliches Zusammentreffen Gleichgesinnter. Bei Musik und Gesprächen radelt man gemeinsam quer durch die Stadt, mitten auf der Straße und ohne von Ampeln aufgehalten zu werden – was an anderen Tagen undenkbar wäre.

Die Critical Mass-Fahrten verlaufen nicht hierarchisch und haben keinen offiziellen Veranstalter oder Organisator. Die Bewegung organisiert sich selbst. In den meisten Städten trifft man sich an einem festen Tag im Monat – immer am gleichen Startpunkt – und fährt los. Auch Route und Länge der Strecke sind meist nicht festgelegt, sondern ergeben sich spontan – je nach Lust und Laune der Teilnehmer.

Critical Mass auf der Reuterstraße Bonn

So funktioniert die Critical Mass

Die Critical Mass nutzt einen ganz einfachen rechtlichen Sachverhalt: Ab 16 Fahrradfahrern gilt man gemäß §27 StVO als Verband – man verhält sich also wie ein einziges, langes Fahrzeug. Heißt: Fährt der erste Radler über Grün, dürfen alle anderen folgen, auch wenn die Ampel zwischenzeitlich auf Rot schaltet. Und der Verband darf nicht durchkreuzt werden. Fußgänger und Autofahrer müssen warten, bis die Masse auf zwei Rädern vorbeigezogen ist. Und das kann – je nach Größe der Gruppe – schon mal dauern. Voraussetzung für die Verbandregel: Die Radfahrer fahren dicht hintereinander, sodass keine größeren Lücken entstehen.

Damit es an Kreuzungen nicht zu gefährlichen Situationen mit anderen Verkehrsteilnehmern kommt, wurde im Rahmen der Critical Mass das „Corken“ eingeführt: Einzelne Radler stellen sich quer vor kreuzende Autos, um sie am Weiterfahren zu hindern. Das tun sie nicht auf aggressive oder provozierende Weise. Stattdessen nutzen sie die Zeit, um den Autofahrern für ihre Geduld zu danken und sie über die Beweggründe der Critical Mass aufzuklären. Das macht die Critical Mass alles in allem zu einer sehr friedlichen Aktion, die trotzdem viel Aufmerksamkeit erregt.

Logo der Critical Mass auf Schutzblech

Die Critical Mass in Bonn

Auch in Bonn gibt es die Critical Mass-Bewegung. An jedem letzten Freitag im Monat treffen sich die Teilnehmer um 18.00 Uhr auf der Hofgartenwiese – auch im Winter. Die erste Protestfahrt fand hier 2012 statt. Anfangs war die Teilnehmerzahl noch überschaubar. „Im Winter mussten wir manchmal wortwörtlich zittern, ob wir die notwendigen 16 Teilnehmer zusammenbekommen“, erklärt mir Tobias Mandt, der seit 2014 regelmäßig an der Bonner Critical Mass teilnimmt.

In den letzten zwei Jahren ist die Critical Mass in Bonn rasant gewachsen. Im Mai 2019 haben unglaubliche 1.400 Radfahrer teilgenommen und damit den Rekord aus dem Vorjahr fast um das Doppelte übertroffen. Das ist auch der Bewegung Fridays for Future zu verdanken, die die Critical Mass tatkräftig unterstützt.

Startpunkt der Bonner Critical Mass

Freitag ist Critical Mass-Tag

Ich selbst fahre seit Mai 2019 regelmäßig bei den Fahrten der Bonner Critical Mass mit und lasse sie nur ausfallen, wenn es wirklich gar nicht anders geht. Jede Fahrt ist anders – je nach Strecke, Länge, Wetter und Leuten. Die unterschiedlichsten Menschen kommen bei der Critical Mass zusammen: Studenten auf Mieträdern, Familien mit Cargo-Bikes, Tüftler mit ausgefallenen selbstgebauten Rädern… Vor, nach und während der Fahrt kommt man ins Gespräch, erfährt von Aktionen und Demos rund um die Themen Klima und Umwelt. Und das Beste: Man hat endlich mal die Straßen für sich. Ein tolles Gefühl und allein deshalb Pflichtprogramm für mich.

Ciritical Mass-Fahrt über die Kennedybrücke

Die Critical Mass gibt’s vielleicht auch in deiner Stadt. Hier findest du eine Übersicht der nächsten Touren.

Zur Facebook-Seite der Critical Mass Bonn

// Bilder: Tobias Mandt

„Stau? Kenn ich nur von der Critical Mass."

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