Paris schließt die Stadtautobahn für den Autoverkehr…

Radfahrer auf der Ile de Cite, Paris

… Das ist zwar (noch) Zukunftsmusik. Aber: Frankreich hat mich im Zusammenhang mit der Verkehrspolitik schon oft elektrisiert! Das erste Mal, als wir Ende der 90er Jahre mit den Inlinern mitten durch Paris gefahren sind. Das „Rando“ freitagsabends war eine Vorwegnahme der heutigen Critical Mass-Veranstaltungen auf Rädern. Seither gibt es diese Veranstaltung Woche für Woche, in der Menschen den städtischen Raum wieder von den Autos zurück erobern.

Zum Beispiel letzten Sommer: Bei unserer Radtour durch Frankreich haben wir uns in den großen Städten mehrfach gewundert, dass dort realisiert wurde, wovon wir in Deutschland nur träumen: die großen Straßen wurden dem umweltfreundlichen Verkehr zurückgegeben – sodass es Spaß macht, auch Innenstädte auf dem Fahrrad zu durchqueren. Als Bonner stelle man sich vor: Die B9 und Reuterstraße in Bonn nur noch je einspurig für Autos! Die andere Spur wäre dann für Busse und Radfahrer reserviert. Oder in Berlin die Straße des 17. Juni … Auf einmal wären Radschnellwege in deutschen Städten gar kein planerisches Problem mehr.

Aber zurück nach Paris: Die Stadt ist letztes Jahr als fahrradfreundliche Stadt von Platz 15 auf Platz 8 weltweit gesprungen (www.wired.com/story/most-bike-friendly-cities-2019-copenhagenize-design-index/): Wie konnte das geschehen?

Einige Fakten

 Vélib Leihfahrräder in Paris

2007: Vélib geht an den Start: Das Pariser Fahrradverleihsystem ist heute, im Januar 2020, das größte seiner Art weltweit.

2012: Passer au rouge, Teil 1: Paris startet an 15 Kreuzungen mit einem Feldversuch: mit der freien Fahrt für Radfahrer bei roter Ampel.

Radfahren an der Seine in Paris

2013: Am linken Seineufer zwischen dem Musée d’Orsay und dem Eiffelturm wird der Park Berges de la Seine angelegt, teilweise auf Flächen der ehemaligen Schnellstraße. Im Sommer wird das rechte Ufer zusätzlich für die Ferienaktion „Paris Plages“ gestaltet.

2013: Passer au rouge, Teil 2: Nachdem der Test problemfrei gelaufen ist, werden zunehmend Kreuzungen dafür freigegeben, u.a. in Tempo 30-Zonen. Bis 2015 sind in Paris ca. 500 Kreuzungen entsprechend beschildert, 2015 kommen ca. 1000 dazu.

Radfahrer in der Innenstadt von Paris

2015: Paris beschließt einen „Plan Vélo“. Der beinhaltet u.a. den Bau vieler neuer Radwege bis 2020 (von 700 auf 1400 km), mit Fokus auf Radschnellwegen (REV). Das bestehende Netz soll verdichtet werden. Dabei werden die insgesamt 80 km Hauptachsen systematisch gestärkt, Lücken innerhalb der Hauptstrecken geschlossen und die Anbindung ans Umland in die Planung integriert. Die Radschnellwege verlaufen in West-Ost-Richtung entlang der beiden Diese Wege sollen dauerhaft nutzbar sein – insbesondere auch im Winter und im Dunklen. Dafür wird ausreichend Personal und insbesondere auch eine bewegungsgesteuerte Beleuchtung bereitgestellt.

Die 30er-Zonen werden ausgeweitet: Die entsprechenden Straßen sind für Radfahrer in beide Richtungen nutzbar. Dazu werden viele neue Fahrradabstellmöglichkeiten geplant. Siehe dazu https://planvelo.paris, wo die Ergebnisse laufend auf einer Karte aktualisiert und kontrolliert werden. Für diese Vorhaben sind 150 Mio Euro budgetiert. Auch die Verkehrsregeln werden zugunsten der Sicherheit für Fahrradfahrer abgeändert.

2016: Das rechte Seineufer wird autofrei. Im Sommer ist es vom Louvre bis zum Rathaus provisorisch gesperrt, im Herbst wird im Stadtrat entschieden, dass dies zur dauerhaften Lösung wird. Vorher waren auf der Stadtautobahn ca. 43.000 Autos täglich unterwegs.

2020: Der Plan Vélo ist noch nicht komplett erfüllt. Von den Neubaumaßnahmen sind nur 300 km fertig. Es gibt jedoch neue optimistische Planungen für den Fall der Wiederwahl von Anne Hidalgo: Bis 2024 soll der Fahrradverkehr weiter gefördert werden. Ziel ist, den radfahrenden Pendleranteil von 3 auf 9 % zu steigern.

Und: Die Rue Peripherique soll über ihre Länge von 35 km bis zur Sommerolympiade 2024 zum Boulevard werden (als solcher war sie auch Anfang letzten Jahrhunderts konzipiert worden). Dazu soll die Höchstgeschwindigkeit auf der Straße bereits 2020 gesenkt werden. Es soll zukünftig nur noch eine Spur für die Autos geben, in denen nur ein Mensch sitzt. Im Gegenzug wird eine Spur für Busse und Fahrgemeinschaften reserviert. Und die dritte Spur in jede Richtung wird zukünftig zu 50 % Grünzone und – voilá – zur anderen Hälfte Radfahrern freigegeben.

Vorläufiges Fazit

Frankreich macht uns vor, wie sogar ein Land, das in der Wirtschaft auf Autobau setzt, den öffentlichen Raum für Fußgänger und Radfahrer öffnet – natürlich auch mittels eines attraktiven ÖPNV. Dort findet man Lösungen, während bei uns gute Ideen gefühlt immer nur auf Hindernisse treffen. Höchste Zeit, sich mal wieder auf Tour zu begeben. Wie wär’s: ein Wochenende in Paris mit der kleinen Königin („la petit reine“), wie das Fahrrad dort auch liebevoll genannt wird. Wir werden berichten.

Zwei Radfahrerinnen an der Seine

„Mach langsam, dann hast Du mehr vom Pass!“

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1 Comment

  • Habt ihr das schon mitbekommen? Paris macht phantasievoll weiter: Um im Mai, wenn die Pandemieregeln gegen den Coronavirus in Frankreich gelockert werden, nicht wieder im Dauerstau zu landen, sind bereits an einigen weiteren großen Straßen neue Radspuren festgelegt worden. Und ganz umweltfreundlich: Frankreich setzt nicht aufs Abwracken sondern aufs Reparieren. Wer jetzt sein altes Fahrrad reaktiviert, kann dafür eine Förderung im Wert von 50 EUR bekommen, um es verkehrssicher zu machen.

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